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Virtuelle Runde im Zeitraffer

Die Rundenlänge beträgt 16,4 Kilometer, die Höhenmeterdifferenz 193 Meter. Mit Ausnahme der Startrunde (Startpunkt an der Kanalbrücke nähe des Fahrerlagers "Alter Hafen") am Samstag um 14.00 Uhr (400 Meter verkürzte Streckenlänge) beginnt und endet jede Runde mit der jeweiligen Ankunft und Abfahrt beim Stoppbalken zwischen dem Festzelt und der Wechselzone. Nach der symbolischen Transponderübergabe (Teamfahrer) wird im Bierzelt bzw. auf der gepflasterten Ludwigstraße Fahrt aufgenommen bevor das Mittertor durchquert wird, von wo die Hienheimer Straße kerzengerade zum Fuß des Stausackerer Berges führt.

Etwa 600 m vom Startpunkt entfernt beginnt der zwei Kilometer lange Steigungsabschnitt (100 hm / Durchschnittssteigung 4.8%). Dem schließt sich ein sanftes Gegengefälle an (1.3 km) bevor die zweite Steigungspassage (1.5 km / 70 hm) mit einer Durchschnittssteigung von 4.6% zum Scheitelpunkt ansteht.

Ist der Scheitelpunkt überwunden, rollt es sich auf der Flachpassage und dem darauffolgendem Gefälle spürbar leichter. Dieser Abschnitt fördert die Gruppenbildung, dessen Windschattenvorteil im Idealfall bis zum Abzweig auf die Altmühlbrücke (10 km) in Kelheim genutzt werden kann. Wer von hier ab bzw. bis spätestens nach Überquerung der Altmühl oder auf der Flachpassage keine Mitfahrer aufgabelt oder aufgegabelt wird, muss sich wohl oder übel auf einen einsamen Soloritt gefasst machen. Für die Psyche allemal ein belastendes Szenario, da Solofahrten einen aussichtslosen Kampf wie der des Don Quichotte gegen Windmühlen anmuten, erst recht wenn der Gegenwind ins Gesicht bläst (was in der Ebene häufiger vorkommt). Mutterseelenallein gegen den Luftwiderstand zu kämpfen kostet Zeit, Kraft und jede Menge Nerven. 

Nach der T-Kreuzung setzt sich die abschüssige Passage  bis ins Altmühltal fort. Auf der anschließenden sanften Gefällstrecke (bis 5 %) ins Altmühltal fällt das Höhenlevel um 138 Tiefenmeter. Nach Überquerung der Altmühl heißt es ab der Einmündung in die St 2230 (Riedenburg-Kelheim) Kette rechts. Wohl dem, der einen Windschatten ergattert hat und windgeschützt in einer Gruppe mitschwimmen kann. Spitzenfahrer erreichen auf dem flachen Streckenabschnitt je nach Windrichtung Geschwindigkeiten von bis zu 60 km/h.

Bild: in aller Regel rauschen die Fahrer gruppenweise auf der Flachetappe von Altessing zurück nach Kelheim (5 km). Ab dem Rechtsabzweig zur Altmühlbrücke enden abrupt die Zweckbündnisse der Windschattenfahrten. Mickrige 7 Höhenmeter reichen aus, dass es schlagartig mit Friede, Freude, Eierkuchen vorbei ist. Um eine gute Ausgangsposition zu haben, reißen explosive Zwischensprints über die Altmühlbrücke - nur wenige hundert Meter nach dem Ortsschild - die "Zufallsbekanntschaften" binnen weniger Sekunden auseinander, und sortiert die Reihenfolge der Fahrer wieder von neuem. Mit scharfem Antritt werden Mitstreiter ausgekontert, um sich auf der rasanten Rechtskurve der Alleestraße mit Geschwindigkeitsüberschuß bis zum Mittertor ggf. noch weitere Mitstreiter zu passieren. Die Hoffnung besteht darin, möglichst keine (langsameren) Fahrer vor sich zu haben, weil die schmale, sperrgitterbeengte Ludwigsstraße bis zum Zeitmesspunkt am Stoppbalken so gut wie keine Überholmöglichkeit mehr bietet. Allerdings ist auch klar, dass der Wunsch meist eher Vater des Gedankens“ bleibt. Wunschvorstellungen sind das eine, die Realität das andere. 

Die Alleestraße führt direkt auf eine scharfe 90 Grad Linkskurve (Bild oben) zu, worauf innerhalb einer Runde das Mittertor (stadteinwärts) ein zweites Mal durchquert wird. Aufgrund der Fahrbahnverengung müssen vor dem Mittertor Überholmanöver abgeschlossen sein. Besonders tückisch bei Nässe: mitten in der Kurve wechselt der asphaltierte Fahrbahnbelag auf Kopfsteinpflaster! Die schmale Fahrbahngasse auf der Ludwigstraße eignet sich für Überholvorgänge nicht es sei denn, dass dem Vorausfahrer akustisch eine Überholabsicht kommuniziert wird und dieser im Rahmen der beengten Fahrbahnverhältnisse bereitwillig Platz macht. 

Die gepflasterte Ludwigstraße fungiert quasi als "An- und Abflugschneise" des Rundkurses, wo die Fahrer auf dem Kopfsteinpflaster in beiden Fahrtrichtungen ordentlich durchgerüttelt werden. Hat man auf dem 250 Meter langen Straßenabschnitt langsamere (Einzel-) Fahrer vor sich, muss man wohl oder übel geduldsam bis zur Zeitmessstelle im Bierzelt hinterher tuckeln. Wenngleich der Zeitverlust allenfalls im Sekundenbereich liegt, so bauscht das Gehirn im euphorischen Vollgasmodus - das Kopfkino lässt grüßen - eine Mücke zum Elefanten auf.

Auf der durch Absperrgitter beengten Ludwigstraße ist wegen vermindertem Grip auf dem Kopfsteinpflaster erhöhte Vorsicht geboten. Bei Nässe sollte man tunlichst die Finger von der Bremse lassen (lieber ein wenig Abstand auf den Vordermann halten, um nicht dessen Hinterrad zu touchieren). Nachdem die schmale Sperrgitterpassage im Bierzelt durchquert ist, beendet ein dicker Stoppbalken (Zeitnahme) die Runde. 

Nach einem Stoppbalken-Hüpfer - hier gibt es die aberwitzigsten "Haltungsnoten " beginnt die verzweifelte Suche nach dem Teampartner. Für manch übereifrige Aspiranten endet der Balkensprung gar in einem Sturz. Lauthalses Namensgeschrei gehört hier 24 Stunden nonstopp zur akustischen "Begleitmusik", um die (symbolische) Staffelstab-Übergabe mit dem geringstmöglichen Zeitverlust über die Bühne zu bringen. Für Teamfahrter fungiert die Zeitnahme bei der Wechselzone gleichsam als Runden-Schnittstelle d.h. hier endet bzw. beginnt die Rundstrecke. Während die einen von ihrer Rundenhatz ausgepowert zurückkehren, nehmen andere motiviert eine neue Runde in Angriff. Um perfekt in Tritt zu kommen, sollte schnellstmöglichst in seinen Rennrhythmus kommen.

Ganz im Gegensatz zum stressigen Heckmeck der Teamfahrer liefern Einzelfahrer eine viel entspanntere Show ab. Ohne abzusteigen drehen sie introvertiert, still und leise ihren 180° Grad Turn, und entschwinden genauso unscheinbar wie sie gekommen sind wieder den Sichtbereich der Wechselzone. 

Zwischenmenschliche Symbiose

24 Stunden Rennen sind zweifelsohne spektakulär - für Fahrer wie für Zuschauer. Dem Fotograf der TOUR - Europas größtes Rennradmagazin - gelang ein genialer Schnappschuß (Bild oben) der jenen denkwürdigen Augenblick einfing, der die empathische Symbiose zwischen Fans und den in Trance befindlichen Radrennfahrer authentisch widerspiegelt. Je später die Stunde, desto sticht im Anstieg am Stausackerer Berg der geistesabwesende Tunnelblick der Rennsportler auf. In der Sportpsychologie ist der Begriff Tunnelblick – ganz im Gegensatz zur allgemeinen Psychologie – positiv besetzt, weil eine verminderte Wahrnehmungsschwelle leistungsfördernd wirkt (spart kognitive Ressourcen). Niedrige Reizintensität führt zur unterschwelligen Wahrnehmung. Wer sich in einem bewusstseinsfernen Zustand (Flow) befindet blendet Störfaktoren wie z.B. die Umgebung weitestgehend aus, um konzentriert und motivert seine Performance abzuliefern.

Wenngleich Sportler mental abgeschottet in ihrer "Käseglocke" am Rand seiner Leistungsfähigkeit werkeln und die Umgebung allenfalls beiläufig wahrnehmen, so durchbrechen flammende Anfeuerungsschreie und ausgelassene Feierstimmung trotzdem die Wahrnehmungsschwelle. Obwohl die Konzentration und der Wille wie ein Brennglas auf optimale Leistungsentfaltung ausgerichtet ist und die stoische Miene bzw. schmerzverzerrten Gesichter den Anschein erwecken nichts nebenbei zu registrieren, wird das Halligalli am Streckenrand bewusst oder unbewusst sehr wohl wahrgenommen. Gerade am Stausackerer Berg, wo die Qual am größten ist, beflügeln die Fans und wummernde Musikbeschallung die leidgeprüften Sportler ungemein. Im übrigen ist es ohnehin nicht möglich etwas bewusst nicht wahrzunehmen. Stattdessen wird nur zwischen (zielgerichteter) Relevanz und (unwichtiger) Irrelevanz unterschieden. Eine unbewusste neuronale Selektion, die zweifelsfrei ihre Vorteile hat.

Extrem hart wird das Rennen, wenn der Kräfteverschleiß und die Übermüdung ihren Tribut einfordert und zu allem Überfluss die Rundenzeiten trotz totaler Verausgabung zu wünschen übrig lassen. Es versteht sich von selbst, dass bedingungsloser Durchhaltewille der Schlüssel zum Erfolg ist, denn Aufgabe ist für leidenschaftliche Leistungssportler keine Option. Wie heißt es so schön: der Schmerz vergeht - die Erinnerung bleibt. Wenn die zermartende Ausdauerschlacht zur üblichen Schlafenszeit an der Moral zerrt, erfüllen treue Fans eine enorm wichtige Motivationsfunktion. Zwischen dem aufgewühlten Fan und dem von großem Leidensdruck geplagten Radfahrer ergibt sich für Sekundenbruchteile eine zwischenmenschliche Verbindung, die dem Leidgeprüften quasi in seiner geistigen "Umnachtung" einen unglaublichen psychologischen Auftrieb verleiht. Ein verbales wie nonverales Zusammenspiel, das auf beiden Seiten große Emotionen hervorruft. Dafür gebührt den Fangruppen ein herzliches Dankeschön, die ihre Haudegen ohne Unterlass zu Höchstleistungen antreiben und sie fast rund um die Uhr nicht im Stich lassen. 

Flüssigkeits- und Elektrolytmangel

Der menschliche Organismus besteht zu rund 65 Prozent aus Wasser (H2 O). Je nach Temperatur, Intensität und Wettkampfdauer variiert der Flüssigkeitsverlust. Für Teamfahrer die nur eine Runde fahren, erübrigt sich eigentlich die Mitnahme einer gefüllten Trinkflasche. Der Flüssigkeitsbedarf kann rund 20 min. vor Rennstart bzw. nach Zieldurchfahrt gedeckt werden. Da die Flüssigkeit erst den Verdauungstrakt (Magen-Darm) durchläuft bevor sie über das Blut (Resorptionszeit ca. 30 min.) aufgenommen wird, macht Trinken während einer Rennrunde überflüssig. Außerdem verfügt der Körper über eine „Flüssigkeitstoleranz“ von 1–2 Liter, weswegen sowieso kein Flüssigkeitsmangel auftreten kann.

Einzelfahrer hingegen müssen auf ihren "Long-Runs" sehr genau auf eine zeit- und bedarfsgerechten Flüssigkeits- und Energiezufuhr achten, um eine Mangelerscheinung zu vermeiden (Trinkflaschen/persönliche Streckenbetreuungsposten). Eine Dehydrierung des Körpers (maximal kann nur 1 Liter pro Stunde aufnommen werden) geht mit einem deutlichen Leistungsabfall einher.  

 Wasserhaltiges Obst und Gemüse bessert ebenfalls die Flüssigkeitsbilanz auf (z.B. Weintrauben, Tomaten, Gurken, Melonen, Äpfel, Organgen).

Bild: direkt neben der Wechselzone befindet sich ein Obst- und Getränkestand

Bewegung kostet bekanntlich Energie, d.h. ohne Mampf kein Dampf. Schließlich benötigen die Muskelfasern zur Kontraktion "Treibstoff". So wie im Dampfkessel Kohlen verglühen, verbrennen die Muskelzellenkraftwerke (Mitochondrien) im hochintensiven Bereich reichlich Kohlenhydrate (Glykogen). Mitochondrien im Muskel sorgen dafür, dass Fettsäuren zur Energiegewinnung verbrannt werden (Omgega 3 und Omega 6 sorgen für Ausschüttung des Regenerationsbeschleunigers Testostoron). Je nach Belastungsdauer, Intensität, Geschlecht, Alter und Körpergewicht kann der Energieumsatz über die Zeitspanne von 24 Stunden bei Teamfahrern durchaus die 5 000 kcal Marke überspringen (1 Kilokalorie -> = 4,2 Kilojoule). Nur ein intakter Energiehaushalt (Gewinnung und Verbrauch von Energie) hält den "Kessel" dauerhaft unter Dampf. Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente und Elektrolytverluste (Kalium, Magnesium, Natrium, Chlorid, Calcium, Eisen, Zink) sind zuzuführen, damit die Leistungkurve keinen Knick bekommt.

  Kopfkino

Jeder Athlet arrangiert sich mit mehr oder weniger Hass- Liebe zu dem 170 hm-Anstieg im Angesicht der Befreiungshalle. Völlig normal, wenn so mancher Zeitgenosse geistige Zwiesprache mit Gott und der Welt hält, währenddessen die Beine unter Vollast unerbittlich ihre Leistung erbringen sollen. Es sind weniger rationale als viel mehr emotionale Gründe die Breitensportler dazu antreibt trotz fehlendem Preisgeld, Ruhm und Ehre an körperliche Grenzen zu gehen.

Für die meisten Teilnehmer ist die Nachmitternachtszeit bis zur Morgendämmerung mental die anspruchsvollste Herausforderung. Geht es hart auf hart, bekommt der innere Schweinehund rasend schnell die Oberhand und treibt sein destruktives Machwerk voran. Doch Frustrationsmomente bzw. Schwächephasen zu meistern gehört zum Radsport einfach dazu. Da passt das Lebensmotto von Eddy Merckx wie die Faust auf's Auge: "Wer Siegen will muss leiden, nur wer leiden kann, kann auch siegen." Neben der allgemeinen Erschöpfung und dem Schlafentzug können sengende Hitze bzw. strömender Regen den unermesslichen Leidensdruck in Unerträgliche schrauben. Andererseits versteht es sich von selbst, dass ein 24 Stundenrennen wohl kaum völlig beschwerdefrei überstanden wird. 

Wenn sich die letzten nimmermüden Fans übernächtig in ihre Schlafstätte verkriechen und damit das letzte Motivationspotential wegbricht, die Lautsprecherboxen verstummen und es mucksmäuschenstill wird, dann beginnt die Psyche der Leidensträger zu rebellieren. Wie in Trance versucht jeder sein ultimatives Leistungspotential abzurufen. Der Lichtkegel durchschneidet die Stille der Finsternis – Einsamkeit macht sich breit. Der Kopf funktioniert sinnentleert und ist einzig darauf geeicht, dem Körper die Erbringung einer Maximalleistung zu befehligen. Tritt für Tritt verschmilzt der Pilot mit seiner Fahrmaschine. Es gleicht einer gespenstischen Szenerie, wie die gekrümmten Körper in Unterlenkerposition auf ihren Rennboliden kauern. Erst im gleißenden Lichterschein nimmt nach dem Bierzelt in der Wechselzone das Leiden ein vorübergehendes Ende. 

Ist die Nacht überstanden, sind Motivationslöcher rasch vergessen. Wenngleich selbst Spitzenathleten von den Strapazen sichtbar gezeichnet sind richtet sich der geistige Blick auf das nahende Rennende. Es ist ein unbeschreiblich schöner Schlüsselmoment, wenn frühmorgens die Dämmerung einsetzt, sich Wolken und Hochnebel auflösen und im Optimalfall die aufgehende Sonne den Horizont rosafarben erhellt. Zeichnen sich Landschaftsumrisse, Nebelschwaden und Himmel mit schärferen Konturen ab und erwecken Sonnenstrahlen die geschundenen Glieder wieder zum Leben, dreht natürlich auch die Stimmungslage. Nach einem Frühstück im Kreis seiner Teamkollegen mobilisiert der Geist wie Phönix aus der Asche neue Zuversicht und Motivation, das Rennen in trockene Tücher zu bringen. 

Belastungsmerkmale

Im Gegensatz zu herkömmlichen Eintagesveranstaltungen weist der 24 Stunden Modus ganz andere Belastungsmerkmale auf. Maßgebliche Schlüsselkriterien sind Tempohärte, Ausdauerfähigkeit sowie Regenerationsfähigkeit, ohne die die physische und psychische Extrembelastungung im Tag- Nacht- Tag- Zyklus nicht zu machen wäre. Wer Verfolger abschütteln möchte oder Konkurrenten in Schach halten will, agiert strategisch und setzt clever platzierte Attacken. In der Regel tun dies vorzugsweise Spitzenathleten, die sich um die vorderen Plätze duellieren. Eine offensive Fahrweise mit Ausreißversuchen will gut überlegt sein, denn wer sich erst einmal "blau" gefahren hat, über dessen Haupt schwebt fortan ein Dameklosschwert. Übereifer verleitet dazu, womöglich zuviele Körner zu verheizen die zu späterer Stunde vielleicht dringend nötig wären. Gerade für ein 24 Stundenrennen steht fest: Das Rennen ist lang und abgerechnet wird zum Schluß.

Die Ausdauerschlacht stellt bisweilen die Vernunft auf den Kopf, Irrationalität gerät zur Normalität. In grenzwertigen Phasen spielt die mentale Verfassung nicht selten das Zünglein an der Waage. Spielt das Wetter nicht mit, belasten Regen, Kälte oder Wind das Nervenkostüm. Weitere ungeplante Widersacher wie Materialdefekte, Verletzungspech oder ein Hungerast können u.U. sogar das schlagartige Aus bedeuten. Selbst wenn alles einigermaßen glatt läuft ist es nicht ungewöhnlich, wenn ambivalente Gefühlswelten in Form von Endorphinkicks und Frustrationsmomenten im gegenseitigen Wechselspiel in voller Wucht aufeinander prallen. Up and Downs sind völlig normale Begleiterscheinungen. Wer sich das Martyrium des Race 24 also antun möchte ist gut beraten, sich mental auf das kräftezehrende "Intermezzo" samt widriger Eventualitäten einzustellen. Denn wer im Ziel triumphieren möchte, muss vorher wirklich alles zusammen gepasst haben.

 Belastungsmerkmale 

Während Teamfahrer Runde um Runde volles Rohr fahren, müssen Einzelfahrer sorgsam mit ihren Kräften haushalten. Dazu gehört vor allem eine gleichmäßige Fahrweise in der aeroben Belastungszone. Im Gegensatz zu Teamfahrern, die sich i.d.R. nach jeder Vollgasrunde abwechseln und dementsprechend kurzzeitig regenerieren können, müssen Einzelfahrer auf ihren pausenlosen "Long Run Stints" ein konstantes Tempo weit unterhalb der maximalen Leistungsfähigkeit anschlagen. Wer sich zu einer überzogenen Pace verleiten lässt läuft Gefahr, irgendwann als Sternschnuppe zu verglühen. Ein kontinuierlicher Rhythmus im moderaten Puls- oder Wattbereich ist für Einzelstarter unabdingbar. Sowohl die Belastungsintensität als auch Renntaktik unterscheidet sich grundlegend von dem der Teamfahrer, die in Zeitfahrmanier über den Rundkurs heizen.

Fährt ein Solist des öfteren oberhalb der individuellen anaeroben Schwelle (IANS) läuft er Gefahr, dass aufgrund erhöhter Laktatbildung (Milchsäure) die Muskeln übersäuern. Belastungsspitzen wie z.B. Beschleunigungsattacken, Fahren im Wind oder Rhythmuswechsel kosten wertvolle Körner. Auch Tretpausen, unrhythmische Kurzzeitbelastungen oder Zwischensprints sind für Einzelfahrer ein "No Go", da infolgedessen Leistungseinbußen nur eine Frage der Zeit sind. Im Kern geht es um einen ökomomischen Fahrstil in einem Belastungsbereich der über die gesamte Wettkampfdauer hinweg aufrecht erhalten werden kann. Abgesehen von geplanten Puls- oder Wattwerten sollte dem Körpergefühl zu jederzeit Beachtung geschenkt werden. Dass das Leistungsvermögen zunehmend abfällt ist der Körperschutzfunktion geschuldet. 

Nonstopp kämpfen ambitionierte Radsportler darum, den 16.4 km langen Rundkurs im Angesicht der barocken Befreiungshalle des Königs Ludwig I. von Bayern innerhalb 24 Stunden so oft als möglich zu umrunden. Der Casus knacksus ist der 170 hm-Anstieg über den "Col de Stausacker", der mit fortschreitender Renndauer samt Schlafentzug die Fahrer zunehmend zermürbt. Der Anstieg wirkt permanent als natürliche Selektionsbarriere, die das Fahrerfeld immer wieder von neuem durcheinander wirbelt. 

 Schweigeminute 

Bei der Teilnehmerbesprechung wurde in einer Schweigeminute an den tödlich verunglückten Radguide Christoph (Mönchengladbach) gedacht, der als Einzelfahrer in Kelheim gemeldet war. Er, sowie acht weitere verletzte Radfahrer aus Bayern wurden am 5.4.2018 Opfer eines tragischen Verkehrsunfalls im Nordosten der Urlaubsinsel Mallorca. Eine 28-jährige Spanierin kollidierte mit ihrem Porsche Cayenne Turbo auf einer Landstraße nahe dem Ort Capdepere mit der Radfahrergruppe, die zum höchsten Berg der spanischen Urlaubsinsel, dem 1445 Meter hohen Puig Major unterwegs waren. Nachruf

Ohne die pausenlosen Stimmungmacher wäre die Veranstaltung nur halb soviel wert. Dieser anfeuerndernden Unterstüzung gebührt großer Dank.

 Windschattenduelle

Die Graphik bildet den windschattenrelevanten Streckenabschnitt (orange Farbe) des Rundkurses ab. Die 10 km lange Teilstrecke (entspricht 60% des Rundkurses) weist 170 Tiefenmeter und 23 Höhenmeter auf.

Der Rundkurs bietet vom Scheitelpunkt des Stausacker-Hochplateaus (500 m ü.NN.) bis zur Altmühlbrücke am Stadtrand von Kelheim ideale Windschattenbedingungen. Je länger dies genutzt werden kann, umso größer die Kraftersparnis (konsequente Zusammenarbeit mit kreiselnder Führungsarbeit erhöht die Effektivität). Vorteilhafte Zweckbündnisse senken im Vgl. zu kraftraubenden Soloritten entweder die Wattleistung oder der windgeschützte Fahrer tritt bei gleichbleibender Leistung ein höheres Tempo. Der Vorteil des verminderten Luftwiderstands liegt auf der Hand, da er bei hohem Tempo um rund ein Drittel sinkt. Immerhin steigt der Luftwiderstand exponentiell (in dritter Potenz) zur Geschwindigkeit. Bei 50 km/h gehen zur Überwindung des Luftwiderstandes 90% der aufgewandten Leistung drauf. 

Andererseits bietet die Flachpassage im Altmühltal die Chance mit einer Explosivattacke nachfolgende Fahrer in den Wind zu setzen, um sie abzuschütteln. Getragen von der Hoffnung Verfolger abzuhängen, wird so mancher Angriff im Kreis der Teamkollegen generalstabsmäßig geplant und dann versucht die Taktik auf der Strecke minutiös umzusetzen. Je nach Rennsituation kann es u.U. Sinn machen, für einen Ausreißversuch einige Körner zu investieren. Ob der Plan letztlich aufgeht und von Erfolg gekrönt sein wird steht freilich auf einem anderen Blatt. Allerdings sollten solche Husarenritte auch nur jene Fahrer wagen, die über genügend Tempohärte (hohe Laktattolleranz) verfügen und sich von der anaeroben Energiegewinnung (ohne Sauerstoff) aus den Muskeln und der Leber (Glycogen) relativ rasch erholen können. Weniger Wettkampferprobte tun gut daran sich nicht zu explosiven Sprints verleiten zu lassen, da man es ansonsten zu späterer Stunde womöglich büßen muss (Sternschnuppeneffekt). 

Tipp: je weiter hinten man in der Gruppe platziert ist, desto stärker macht sich der Ziehharmomika-Effekt bemerkbar. Außerdem besteht die Gefahr, dass vorne plötzlich attakiert wird was die Gefahr birgt, den Gruppenanschluss zu verlieren. In Sekundenbruchteilen muss priorisiert werden, ob eine anaerobe Belastung im Hinblick des Risikos eines potentiellen Leistungsabfalls verhältnismäßig ist oder nicht. Ist man zwiegespalten und überlegt zu lange, dann ist der Zug im wahrsten Sinne des Wortes abgefahren. Wer bereits am Limit fährt, für den ist es nahezu ausgeschlossen eine Lücke wieder zuzufahren. Pech gehabt - Shit happens.

Nimmermüde Stimmungsmacher am Streckenrand sind quasi das Vitamin C der Großveranstaltung. Sie verwandeln die Hotspots in einen brodelnden Hexenkessel, der die Racer zu Höchstleistungen anspornt. Beifallsklatschen, Anfeuerungsrufe und heiße Musikrhythmen tragen die Rennradler sprichwörtlich den Berg hinauf und machen den Schmerzpegel wenigstens für ein paar Sekunden vergessen. Die empatische Anteilnahme am Martyrium der Athleten wirkt wie Balsam für die geschundene Seele. Die ekstatisch aufgelade Stimmung überträgt sich wechselseitig auf Akteure wie Zaungäste. Ein Spektakel, das man eigentlich nur von Profirennen her kennt. Die leidenschaftliche Hingabe, mit der das Publikum den Leidenskampf begleitet und ihnen moralisch Runde um Runde den Rücken stärkt ist in Kelheim beispiellos. 

24 Stunden Radrennen ziehen als Nischensport Individualisten aus unterschiedlichsten Sportarten an. So fühlen sich Lizenzfahrer, Jedermänner, Ulrtracycler, Extremsportler, Triathleten bis hin zu "Spaß an der Freud - Fahrer" berufen, in Kelheim dabei zu sein. Ungeachtet der Ambitionen verrät ein breites Grinsen, welch Heidenspaß das Race24 den Hauptdarstellern bereitet.